Zwei Rennen, Licht und Schatten

Zwei Rennen, eines richtig gut, eines als Katastrophe trotz vermeintlich sehr guter Form, geht das? Leider ja.

Da waren zum einen die FitBit – NeuseenClassics, seit Jahren eine feste Größe in meinem eher bescheidenen Rennkalender. Es ist eine kurze, schnelle Ballerstrecke im Süden Leipzigs, sofern man sich für die 60km entscheidet, und man merkt da schon, wie gut man über den Winter gekommen ist.

Es verlief fast alles nach Plan. Die ersten 200m habe ich allerdings etwas vertrödelt, jedenfalls fuhr eine Gruppe vor mir weg und ich konnte mich nicht rechtzeitig durchdrängeln, um da noch ranzukommen. 300m Volldampf haben nicht gereicht, vielleicht zum Glück, denn in der Gruppe gab es vermutlich ein paar Stürze und wer weiß, wie ich in diesen Situationen ausgesehen hätte.

Ich etablierte mich also in der nächsten Gruppe, und die war ganz mein Geschmack. Es war mein „Mitfahr-Tempo“. Anfangs hatte ich sogar Mühe, nach Kurven immer wieder dranzubleiben, im Laufe des Rennens wurde es aber immer besser. So nach und nach ging ich in der Gruppe immer mehr nach vorn, immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, irgendwann im Rennen „eine Rolle“ zu spielen, welche auch immer. Es dauerte bis ca 3km vor dem Ziel, einer hatte sich etwas abgesetzt und direkt vor mir war eine Lücke, die Lücke. Ich hatte vor, mich einfach maximal vor’s Feld zu spannen und unter Volldampf sehen, was passiert, entweder komme ich weg oder alle bleiben dran, aber eben hinter mir. So wollte ich für mich in den letzten Kurven vor dem Ziel meine persönliche Sturzgefahr mindern, was letztlich auch gelang. Aber mehr auch nicht. Für vielleicht einen Kilometer war Volldampf drin, 400-500 Watt, um die 40 km/h. 100m vor der letzten Kurve war der Akku dann leider leer und so zog der Pulk dann doch an mir vorbei.

Trotzdem sturzfrei, trotzdem ein recht guter Schnitt, trotzdem direkt nach dem Rennen geschafft, aber nicht halb tot. Unterm Strich meine besten NeuseenClassics überhaupt, Rennradlerherz, was willst Du mehr?

In Hamburg war es dann doch etwas anders. „Nach 100km Krämpfe und die letzten 50km  als Einzelzeitfahren“ hatte ich schon kommuniziert. Nur, wie konnte es dazu kommen?

Im Vorfeld konnte ich meinen Trainingszyklus so einigermaßen einhalten. Normal-Woche, Belastungs-Woche, Hochbelastungs-Woche, Regenerationswoche. Die Woche direkt vor dem Rennen nannte sich dann abweichend „Tapering“. Nun ja, ich hab da die Belastung deutlich runter gefahren, mehr aber nicht. Am Anfahrtstag keine kleine Vorbelastung, nix. Nur „Carboloading“ beim Italiener, Bierchen inklusive.

Wettkampftag

7:00 Uhr öffnete im Hotel das Frühstücksbüffett, 8:10 sollte der Start sein und man sollte sich ja schon etwas eher einfinden – so sah mein Zeitfenster aus, welches mich irgendwie unter Druck setzte. Und so ging es nicht um den Super-Quark nach Dr. Feil, nicht um spezielle Smoothies und das im genauen Zeitfenster, nein, es war ein relativ normales Frühstück im Hotel, Brötchen, Rührei, etwas Kaffee, Saft. Also nicht wie bei mir üblich 3 große Tassen Kaffee + noch irgendwas, nee, nur eine kleine Tasse Kaffee. Vielleicht hätte ich wenigstens das Magnesium-Granulat nehmen sollen, welches am Vortag an der Innenalster großzügig an mutmaßliche Cyclassics-Teilnehmer verteilt wurde. Nein, nix.

Ich fuhr also mit zuwenig Wasser in mir los. Mein Taktik sah so aus, daß ich die ersten 100km relativ passiv mitfahre und dann in der 55km-Schleife wieder (siehe oben) „eine Rolle spielen“ würde. Und es schien erstmal aufzugehen.

Freilich bemerkte ich mal wieder meine vielen Kilos, gerade auf der Köhlbrandbrücke und auf der Ehestorfer Landstraße. Das sind nun beileibe keine epischen Pässe, sondern einfach ein paar kleine Huckel, die es aber im Renntempo zu meistern galt. Mögen da andere mit 250 Watt hochgefahren sein – bei mir waren es eher 400-500 Watt. Ja, das kann ich mittlerweile, aber es braucht auch jede Menge Treibstoff. Das Thema ist lästig, aber es ist mein Hauptthema, ich bin nach wie vor viel zu schwer für meine sportlichen Ziele.

Das ist mir auch schon am Start aufgefallen. Im Großen und Ganzen erhöht sich ja das Niveau, je weiter vorn man startet. Austrainierte Körper, kaum sichtbares Übergewicht, immer professionellere Technik und tausende sichtbare Kilometer auf dem Rennrad findet man in Startblock A und B deutlich häufiger als in K oder L. Technisch war ich gut dabei, neben den vielen Mittelklasse-Carbonrennern namhafter Hersteller sah mein Alu-Canyon gar nicht so schlecht aus, mit meinem relativ neuen Laufradsatz von Aerycs war ich mutmaßlich im besten Drittel aller Starter im Startblock B.

Aber ich war der Fette.

Und mein Startblock war eine Nummer zu ambitioniert für mich. In der Ebene 45-55 km/h mitfahren kann jeder, das war auch diesmal kein Thema, „interessant“ wurde es an jeder Steigung. Auf der Köhlbrandbrücke war es ja noch einfach, genau genommen waren wir da erst so richtig warmgefahren. Die Ehestorfer Landstraße zieht sich unmerklich aber ekelhaft vor sich hin, immer steiler werdend, bis man dann merkt, daß man im „Kreuzgang“ (vorn 53 Zähne, hinten 28) angelangt ist. Das Bereinigen der Schaltungssituation hat mich den Anschluß an meine Truppe gekostet.

Halb so schlimm, die nächsten kamen schon von hinten, einen Hauch langsamer als die erste Gruppe, machbar. Aber die ach so flachen Cyclassics haben hier und da noch ein paar Höhenmeterchen versteckt, ich mußte zusehen, wie ich dran bleibe. Insgesamt fühlte ich mich aber von Kilometer zu Kilometer immer besser. Bei Kilometer 85 oder 90 dann die Feststellung „oh, erst ein wenig aus der ersten Flasche getrunken“, da kam die Schnapsidee in mir auf, ohne Verpflegungstopp durchzufahren. Geplante vier Stunden Wettkampf mit 1,4 Litern Iso-Getränk, es schien so machbar.

Durst, Krämpfe

Im Bereich der Feldertrennung hatte ich dann auf einmal Durst. Kein Problem, die erste Flasche gleich mal ausgetrunken. Aber nach der Feldertrennung war ich plötzlich allein, ca 30m vor mir war die kleine Truppe, da wollte ich dann hin.  Zur Beschleunigung mal aus dem Sattel, eins zwei eins zwei – autsch, Krämpfe in beiden Oberschenkeln! Und jetzt noch 55 Kilometer?

Erstmal locker pedalieren, sitzend natürlich, in den Körper reinhorchen und ich hörte ein „wird schon gehen“. Bald kam eine Gruppe von hinten und ich konnte mich erstmal anhängen. Das ging dann für 3-4 Kilometer gut, bis es dann wieder welliger wurde. Da konnte ich sitzend nicht mehr die erforderliche Kraft aufbringen, und dann kamen auch die Krämpfe wieder. Diesmal jedoch schon im Sitzen, aber es waren andere Muskelgruppen betroffen, Unterseite außen, würde ich als Nichtmediziner sagen.

Trinken! Trinken! Trinken! Nee, ich habe wohl irgendwie vergessen. Noch im Stadtgebiet Hamburg war zwar die zweite Flasche auch alle, aber ich hatte danach keinen Blick und keinen Gedanken für die nächste Verpflegungsstelle. Es folgten ca 25 Kilometer Alleinfahrt, kurz unterbrochen von ca. 500m zu zweit („Mir tut der Arsch weh“ – erinnert sich da jemand?) und gefühlt 10 Grüppchen, die an mir vorbei flogen, ohne daß ich eine Chance hatte, mich da anzuhängen. Da war nur eins: Frust pur.

Ungefähr 20 Kilometer (?) vor dem Ziel war dann doch noch eine Verpflegungsstelle. Diesmal fuhr ich ran und holte mir randvolle 750ml Iso-Getränk, was mich innerhalb der nächsten 10 Kilometer (Kösterberg inklusive) wieder regelrecht aufbaute. Leider waren da aber keine funktionierenden Gruppen in meiner Nähe, im Grunde fuhren wir da alle einzeln bis ins Ziel.

Die jubelnde und lärmende Menschenmenge auf der Zielgeraden namens Mönckebergstraße baute mich dann doch wieder ein wenig auf, obwohl ich mich innerlich wie ein Verlierer fühlte. So hatte ich mir meinen Saisonhöhepunkt nicht vorgestellt.

Nachbetrachtung

Im Vorfeld wurde ich besonders aus dem nicht so sportaffinen Bereich wegen meiner Streckenwahl kritisiert, die 155km wäre zu lang für mich. Dem ist nicht so. Ich habe nur erfahren müssen, daß man für Renndistanzen jenseits der 100km bei der Versorgung des Körpers im Rennen keine Fehler machen darf. Eine gute Form vorausgesetzt fährt man über 60km seine Reserven leer und gut ist, bei 100km kommt ausreichend Wasser hinzu. Darüber muß wirklich alles mögliche nachgefühlt werden, Wasser, Mineralstoffe inkl. Salz, Kohlenhydrate, also diverse Zuckerarten. Es geht nicht ohne.

Die vielen klugen Bücher über Radsport, Training, Wettkampfvorbereitung machen genau dann Sinn, wenn man sie versteht, ja, verinnerlicht und sich einfach daran hält. Da sehe ich auch den Hauptvorwurf an mich selbst, warum es so dumm für mich gelaufen ist.

Technisch habe ich vorerst meinen anvisierten Stand erreicht. Ein konkurrenzfähiges Rennrad, bestehend aus einem leichten, steifen Rahmen (Canyon Ultimate Al), einer semiprofessionellen Schaltgruppe (Shimano Ultegra), leichte und steife Aero-Räder (Aerycs AC 50 SL C) und ein pedalbasiertes Powermeter (bePRO) – was will ich mehr? Manch einer im Teilnehmerfeld wäre glücklich, so eine Rennmaschine fahren zu können, und ja, ich bin es auch. Deswegen wird es in nächster Zukunft auch keine großen Anschaffungen in dieser Richtung geben, ich hab ja alles. (Bis auf Lenkeraufsatz, Action-Kamera und die kleinen oder großen Dinge, von denen Rennradfahrer so gern träumen)

Über rennradopa

Ein Opa mit einem Rennrad. Hier wird selbst gedacht und selbst gemacht.
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4 Antworten zu Zwei Rennen, Licht und Schatten

  1. gabiwinck schreibt:

    netter Bericht, hat mich zum Nachdenken gebracht… vom Alter her könnte ich Rennradoma sein … Oma- nein … Rennrad ja … RR heißt bei mir Rennrad, obwohl es keine spezifischen Rennradrennen mit mir mach (hahaa – was gebe ich heute für einen Quatsch von mir… auf dem Rennrad lasse ich es lieber etwas gemütlicher angehen – deshalb liiiiebe ich Brevets … schon wegen des Randonnée-Geistes (hat nix mit Alk zu tun …). Noch schönes Training (denn das ist das Ausschlaggebende!! Das Rennen ist dann das Sahnehäubchen …

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    • rennradopa schreibt:

      Und ich tue mir Radrennen an und frag mich nach 25 Kilometern immer wieder warum … Es ist ein etwas größerer Selbstversuch. Ich möchte wissen, wie lange ich noch meine Leistungen steigern kann. Dafür spule ich u.a. ca 12000 Kilometer im Jahr ab, mal mehr und mal weniger qualifiziert (Tendenz mehr), dafür trainiere ich, dafür kämpfe ich mit meinem Gewicht. Die Rennen sind dann die dafür notwendige Leistungskontrolle. Da ist gleich alles drin, die Kraft, die Ausdauer, die Erfahrung, das alles sollte sich weiterentwickeln und das tut es auch, wenn auch in den letzten beiden Jahren längst nicht so wie erwünscht. Über meine Strecken kann ich auch nicht meckern, sowohl im Training als auch im Rennen. Und den Spaß habe ich sowieso dabei.

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      • gabiwinck schreibt:

        Ich denke genau so … mal sehen, wie lange das noch geht … wie alt bist DU denn? Ich mache auf jedenfall heute die verrückteren Sachen wie mit 30 Jahren … und meine Tochter meint regelmäßig: Mami, du bist verrückt … Ja, ich fühle mich im Herzen maximal 15 … hahaaaa.
        Dieses Jahr zwei megatolle Events gefinisht: Celtman Extreme Triathlon und ein Brevet von 1600km/ 15000 Hm – die legendäre 1001 Miglia …

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  2. rennradopa schreibt:

    Jetzt bin ich 54 und ich vermute/hoffe, daß ich mich bis 60 steigern kann. Da hätte ich vor 10 Jahren nicht im Traum dran gedacht, daß ich noch mal eine zweite sportliche Karriere einschlage. Und nun bin ich mitten drin. Ich trainiere für „überschaubare“ Rennen, meine längste Fahrt ging über 250km. Viel länger wird es nicht werden, weil ich Nachtfahrten nicht so mag. Vielleicht raffe ich mich aber nochmal zu längeren Läufen auf, „irgendwann“ ein Marathon ist noch nicht ganz aus dem Kopf verschwunden.

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